Das Wunder der Gewaltfreien Kommunikation

Wer die Gewaltfreie Kommunikation (nachfolgend auch „GfK“ genannt) nach Marshall B. Rosenberg kennt, weiß wie ungemein effektiv und befreiend diese Art der Kommunikation ist. Denn wer die Sprache des Herzens spricht, wird tatsächlich auch verstanden.

Dabei geht es keineswegs nur um den Austausch von Nettigkeiten. Durch die konsequente Anwendung der vier Schritte können Sie selbstwirksam und dennoch deeskalierend kommunizieren. Das ist insbesondere in Konfliktsituationen hilfreich. Wir zeigen Ihnen an einem Beispiel, wie es zu verbaler Gewalt kommt – und wie in der gezeigten Situation auch eine Gewaltfreie Kommunikation möglich ist.

Ein Konflikt bei der Kinderbetreuung

Anja und Bernd vereinbarten nach ihrer Trennung das sogenannte Wechselmodell, d.h. sie betreuen ihre beiden gemeinsamen Kinder je zur Hälfte. Eine Woche sind sie bei der Mutter, die nächste beim Vater. Der Elternteil, der die Kinder die Woche über betreut hat, bringt sie am Sonntagabend um 18 Uhr zum anderen Elternteil. So lautet die kürzlich im Einvernehmen getroffene Absprache.

Bernd hat die Kinder am Sonntag jedoch schon mehrfach erst nach 19 Uhr zu Anja gebracht. Es fällt ihm schwer, sich von den Kindern zu trennen und wieder eine ruhige Wohnung zu haben. Bei schönem Wetter unternimmt er am Wochenende viel mit den Kindern – und draußen in der Natur oder am Bolzplatz verfliegt die Zeit.

Anja freut sich nach der Woche auf ihre Kinder. Sie möchte auch erfahren, was die Kinder in der Zeit erlebt haben. Doch weil am Montag der Alltag mit Arbeit, Schule und Kita beginnt, sollen die Kinder spätestens um 20 Uhr gewaschen und im Bett sein. Auch der Schulranzen muss dann schon gepackt sein. Nur so sind die Kinder am nächsten Morgen ausgeschlafen.

Wenn der Konflikt mit verbaler Gewalt ausgetragen wird

Als Bernd die Kinder am Sonntag wieder zu spät bei Anja abliefert, kommt es zum Streit.

Anja: Wo bleibt ihr denn so lange? Und wieso kannst du dich einfach nicht an Absprachen halten? Ob ich hier mit dem Essen auf die Kinder warte, ist dir anscheinend egal. Irgendwann fällt dir wohl mal auf, dass Sonntag ist. Ich habe es satt, dir hinterherzutelefonieren. Du bist wie immer unzuverlässig und ein schlechtes Vorbild.

Bernd: Was regst du dich so auf? Du bist doch ohnehin zuhause. Freu dich doch über die Stunde mehr für dich. Früher war das dein Problem: Nie Zeit für dich. Jetzt hast du sie und es passt dir wieder nicht. Wir hatten eine Menge Spaß und ich habe vergessen, Bescheid zu geben. Dann im Auto wollte ich nicht telefonieren. Wir waren ja nicht weit weg. Außerdem weißt du doch ganz genau, dass ich die Kinder immer zuverlässig Sonntagabend wiederbringe. Auf die paar Minuten kommt es dabei doch nicht an.

Anja: Du bist so egoistisch und denkst wie immer nur an dich. Es reicht mir. Wenn das nochmal vorkommt, kündige ich die Vereinbarung auf und du siehst die Kinder nur noch alle 14 Tage am Wochenende.

Bernd: Du spinnst wohl, mir wegen so einer Lappalie die Pistole auf die Brust zu setzen. Es sind auch meine Kinder. Ein Wochenendvater werde ich sicher nicht. Reg dich mal ab. Immer so ein Theater mit dir. Mach dich mal locker!

So könnte es noch eine Weile weitergehen. Und es könnte dann vermutlich auch noch weiter eskalieren. Doch darum geht es hier nicht. Sehen wir uns einmal an, wie die beiden über den anderen gesprochen haben. Welche Wertungen haben sie vorgenommen?

Es war die Rede von „unzuverlässig“, „schlechtes Vorbild“, „egoistisch“, „unlocker“ und vieles mehr. Diese Wertungen beziehungsweise Abwertungen sind es, die wie Öl im Feuer eines Konflikts wirken. Sie heizen ihn also an.

Gewaltfreie Kommunikation: Bedürfnisse mitteilen

Die meisten Menschen reagieren empfindlich darauf, von anderen bewertet zu werden. Das gilt vor allem bei negativen Urteilen. Wenn Sie möchten, dass Ihr Gegenüber sein Verhalten ändert, sollten Sie deshalb auf die Bewertung des Verhaltens verzichten.

Besser ist es, Bitten zu äußern. Denn wenn Sie von sich und Ihren Bedürfnissen sprechen, wird das selten als provokativ und als Einladung zum Streit empfunden.

Die Vorgehensweise nach der Gewaltfreien Kommunikation könnte in unserem Beispiel wie folgt aussehen. Anja möchte ihrem Ärger Luft machen. Gewaltfrei geht das in vier Schritten:

1. Schritt: objektiv-neutrale Beobachtung

(Was ist geschehen? -> möglichst konkrete Tatsachen)

Anja: Wir haben vor drei Monaten vereinbart, dass du die Kinder nach der Woche bei dir am Sonntag um 18 Uhr bei mir ablieferst. Du hast die Kinder heute zum dritten Mal hintereinander eine Stunde zu spät gebracht.

2. Schritt: Was für ein Gefühl entsteht durch die Situation?

Das entstandene Gefühl muss dem anderen nicht mitgeteilt werden. Anja sollte es aber wahrnehmen. Denn Gefühle stehen immer für erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse.

In dieser Situation ist Anja einfach sauer. Sie merkt aber auch, welche Bedürfnisse nicht erfüllt werden, wenn Bernd die Kinder später als vereinbart bei ihr abgibt. Das wird sie Bernd nun mitteilen.

3. Schritt: Welches Bedürfnis wurde nicht erfüllt?

Anja: Ich möchte den Sonntagabend mit den Kindern verbringen und erfahren, was sie in der Woche erlebt haben. Außerdem möchte ich, dass sie genug Schlaf bekommen, damit sie morgen ausgeruht in die Schule gehen können. Dafür müssen die Kinder meiner Erfahrung nach spätestens um 20 Uhr im Bett sein.

4. Schritt: Konkrete Bitte äußern

Anja: Kannst du die Kinder bitte am Sonntag pünktlich bei mir abliefern?

Und die Reaktion von Bernd? Anja ist ohne Vorwürfe und Bewertungen von Bernd ausgekommen und hat ihre Bedürfnisse mitgeteilt. Angegriffen dürfte sich Bernd dadurch eigentlich nicht fühlen. Antwortet er dennoch mit „nein“, kann Anja konkret nachfragen: „Was hindert dich daran?“ Oder vielleicht: „Sag mir bitte, was ich dazu beitragen kann, damit du die Absprache besser einhalten kannst.“

Außerdem wichtig: Zeigen Sie Empathie

Empathie bedeutet, sich in den anderen hineinzuversetzen und nachzuempfinden, wie er sich fühlt. Wenn Anja also die Gründe für das Zuspätkommen kennt, kann sie ihrer Bitte auch folgenden Satz voranstellen: „Ich weiß, dass du die Kinder gerne bei dir hast und es schwer ist, sich von ihnen am Ende einer Woche zu trennen.“ Bei der Bitte, die Kinder trotzdem in Zukunft pünktlich zu bringen, wird sich Bernd dann vermutlich besser verstanden fühlen. Daraus kann ein konstruktives Gespräch erwachsen.

Weil Anja keine Vorwürfe („wie damals“ und „unzuverlässig“) vorbringt und Verallgemeinerungen (wie „nie“ und „immer“) unterlässt, kann Bernd sie hören und macht nicht sofort dicht.

Das Gefühl, sauer oder wütend zu sein, kennt jeder. Was einem selbst wichtig ist (Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit), muss man dem Gegenüber sagen. Das ist ärgerlich und zeigt, dass für ihn wahrscheinlich andere Werte wichtig(er) sind.

Und doch haben alle Menschen grundsätzlich die gleichen Bedürfnisse, die sich situationsbedingt mehr oder weniger melden. Jeder kennt Gefühle wie Wut oder Angst, wenn ein Bedürfnis nicht befriedigt ist. Und natürlich auch die angenehmeren Gefühle wie Freude, Zufriedenheit und Tatkraft, wenn ein Bedürfnis befriedigt ist.

Mit einer konkreten Bitte – also nicht mit einer Forderung – hat das Gegenüber die Möglichkeit, unser Bedürfnis zu erfüllen. Im Regelfall wollen die Menschen zum gegenseitigen Wohlbefinden des anderen beitragen. Auch Bernd schätzt Zuverlässigkeit und Planungssicherheit. Er kann Anja deshalb verstehen. Da Anja zudem eine konkrete Bitte an ihn richtet, stehen die Chancen gut, dass er der Bitte auch nachkommt.

Gewaltfreie Kommunikation im Mediationsverfahren

In einer Mediation werden meist komplexe Themen besprochen, in denen es oft um die Gefühle und Bedürfnisse des anderen geht. Um gemeinsam gute Lösungen zu finden, müssen die Konfliktpartner zunächst erkennen, was hinter den Positionen des anderen steckt. Und sie müssen bereit sein, diese Positionen auch tatsächlich zu begreifen, also zu hören und zu verstehen. Ist das nicht gegeben, drehen sich die Konfliktpartner endlos im Kreis.

Je nach Situation erklärt der Mediator oder die Mediatorin dann kurz die Prinzipien, die eine Gewaltfreie Kommunikation ausmachen. Für den Anfang ist es wichtig, dass die Teilnehmer mehr von sich sprechen als über den anderen. Der Mediator oder die Mediatorin wird also darauf hinwirken, dass sie ihre Gefühle wahrnehmen und benennen. Das hilft der anderen Seite, die vorgebrachten Gefühle nachvollziehen zu können.

Die Erkenntnis, dass Gefühle nicht aus dem Nichts entstehen, sondern uns (un-)erfüllte Bedürfnisse aufzeigen, hilft den Konfliktparteien dann, sich über die eigenen Bedürfnisse klar zu werden. Und wer seine Bedürfnisse kennt, weiß auch, welche Lösungen ihn zufriedenstellen können.